FORMEL 1: RED BULL IN DER KRISE - ABSCHIED VON TECHNIKGENIE ADRIAN NEWEY DROHT

Adrian Newey verdient mehr als die meisten Fahrer, sein möglicher Abgang bei Red Bull löst ein Beben aus. Wer ist der 65-Jährige, der am liebsten seine Ruhe hat? Und was würde sein Verlust für das Weltmeisterteam bedeuten?

Sein Abgang von Red Bull ist noch nicht einmal offiziell bestätigt, die Formel-1-Welt aber bereits massiv in Aufruhr: Designgenie Adrian Newey, auf dessen Zeichenbrett mitten in der Computerwelt der Formel 1 in den vergangenen drei Jahrzehnten Dutzende Weltmeisterautos entstanden, will das Erfolgsteam, mit dem dem sein Name untrennbar verbunden ist, verlassen.

Weil er, der die Öffentlichkeit eher scheut, der am liebsten nur in aller Ruhe seine Arbeit machen würde, von dem Theater im und um das Team herum genug hat. So berichteten es am Donnerstag »Auto Motor Sport« und die britische BBC. Das Verhältnis zwischen Christian Horner und Newey soll bereits abgekühlt sein. Der Teamchef hatte etwa zu verstehen gegeben, dass er Newey als gar nicht so wichtig für den Erfolg einschätzte, und den 65-Jährigen zunehmend in den Bereich der Hypercar-Entwicklung bei Red Bull abgeschoben.

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Als dann die »Affäre Horner« dazukam, in der eine Mitarbeiterin dem Teamchef »unangemessenes Verhalten« vorwarf, soll das Tischtuch zwischen den früheren engen Freunden endgültig zerschnitten worden sein.

Dabei hatte Horner Newey Anfang 2006 zu Red Bull geholt, nachdem der bereits für die Weltmeisterautos von Williams seit Beginn der Neunziger und dann auch für den McLaren verantwortlich gewesen war. Aus Neweys Feder stammten zahlreiche Weltmeisterrennwagen wie die von Nigel Mansell (1992), Alain Prost (1993), Damon Hill (1996), Jacques Villeneuve (1997/alle Williams), Mika Häkkinen (1998 und 1999/McLaren), Sebastian Vettel (2010 bis 2013) und Max Verstappen (2021 bis 2023/jeweils Red Bull).

Mit dem RB19 gewann Red Bull im vergangenen Jahr allein 21 von 22 Rennen – eine einzigartige Dominanzleistung.

Von der Schule geflogen, später groß rausgekommen

Dabei war die Traumkarriere des Tierarztsohnes aus dem britischen Stratford-upon-Avon zumindest in seiner Jugend nicht unbedingt vorgezeichnet. Er besuchte die private Eliteschmiede Repton, war aber kein guter Schüler und wurde im Alter von 16 Jahren sogar von der Schule verwiesen: Er hatte bei einem Greenslade-Konzert den Sound der Band so weit aufgedreht, dass die bunten Glasfenster des altehrwürdigen Pears-Gebäudes barsten.

Erst später, im Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Uni Southampton, fand er seine Berufung, schloss es mit Auszeichnung ab. Das Thema seiner Diplomarbeit: Bodeneffekt-Aerodynamik – schon ein kleiner Hinweis auf seinen kommenden Weg.

Autos hatten Newey schon immer fasziniert. So war der Einstieg in den Motorsport logisch. Über Fittipaldi und das March-Team des späteren Fia-Präsidenten Max Mosley ging er erst einmal in die USA zum March-Ableger in der Indycar-Serie. Dann ging es zurück in die Formel 1, wo er mit geringen Mitteln bereits Achtungserfolge erzielte, die für Aufmerksamkeit sorgten. Es folgte der Schritt zu Williams – und der Rest ist, wie es so schön heißt, History.

Papier und Bleistift

Die Formel 1 hat sich seitdem gravierend verändert, Newey eher nicht. Der verzichtet weitgehend auf Computerunterstützung, brütet seine revolutionären Ideen im Bereich Aerodynamik am liebsten im Kopf aus und setzt sie dann mit Papier und Bleistift auf dem Zeichenbrett um. Und steigt immer noch gern selbst in ein Rennauto, obwohl er als Fahrer bei Weitem nicht so talentiert ist wie als Designer – und bei derartigen Ausflügen schon eine Menge teuren Schrott hinterließ.

Wie weit die moderne Formel 1, mit ihrem Fokus auf Teamarbeit und Computeranalyse, Neweys Rolle gerade in den vergangenen Jahren verändert hat, ist umstritten. Seine frühere Nummer zwei, Dan Fallows, jetzt bei Aston Martin, sagte, dass die Zeit der großen Einzelgenies eher vorbei sei. Dass heute immer eine Gruppe von Ingenieuren und Designern für ein Auto verantwortlich sei.

Von Weltmeister Max Verstappen weiß man, dass er die Arbeit des technischen Direktors Pierre Waché, der derzeitigen »rechten Hand« von Newey bei Red Bull, zumindest in den letzten beiden Jahren schon wichtiger einschätzte als die des Meisters selbst. Gleichwohl machte er den Verbleib von Schlüsselfiguren – einschließlich Newey – zur Bedingung dafür, selbst mittelfristig weiter bei Red Bull bleiben zu wollen.

Ferrari und Aston Martin gelten als Hauptinteressenten

Andererseits sind Teams wie Ferrari oder Aston Martin offenbar bereit, extreme Summen für Newey auszugeben – von einem 100-Millionen-Angebot für einen vierjährigen Vertrag ist da die Rede.

Aber ob es dazu wirklich kommt? Red Bull behauptet, Newey habe noch keine offizielle Kündigung eingereicht. Was er aber offenbar tat, war, hochrangigen Mitarbeitern seine Entschlossenheit mitzuteilen, das Team zu verlassen. Was dann prompt an die Öffentlichkeit durchsickerte.

Die Frage ist auch: Wann könnte Newey Red Bull verlassen – und wie beeinflusst das möglicherweise einen zukünftigen Weg? Offiziell läuft sein Vertrag mit dem Rennstall noch bis Ende 2025. Bei einem Teamwechsel ist in der Formel 1 bei einem Hochkaräter wie Newey eine Sperrfrist von einem Jahr üblich. Das hieße, dass er seine Arbeit bei einem neuen Team frühestens 2027 beginnen könnte. Damit würde sein Einfluss erst für die 2028-er Autos gelten – dann ist die Formel 1 schon Jahre im neuen Reglement, das 2026 in Kraft tritt.

Natürlich können alle Vertragsangelegenheiten in der Formel 1 mit viel Geld geregelt werden. Aber wo sind die Schmerzgrenzen für die Hauptinteressenten an Neweys Diensten? Ferrari, Aston Martin, vielleicht auch noch Mercedes? Und wie weit würde Red Bull überhaupt entgegenkommen?

Newey ist 65, er hat in seiner Karriere bereits alles erreicht und zuletzt geschätzte zweistellige Millionengehälter kassiert. Was passiert, wenn er merkt, dass das Tauziehen um seine Person genau in das ausartet, was er am allerwenigsten haben wollte: eine Mischung aus juristischer Auseinandersetzung und öffentlicher Schlammschlacht; das Gegenteil davon, in Ruhe seine Arbeit machen zu können?

Eine Möglichkeit, die in den ganzen aufgeregten Diskussionen, wohin er denn nun wechseln werde, selten auftaucht: Der »Design-Guru« könnte sich auch ganz zurückziehen, in seine Wahlheimat Südafrika – und der gesamten Formel 1 den Rücken kehren.

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