GRüNENMITGLIED üBER ANGRIFF IN SACHSEN: »DER ANGREIFER VERPASSTE MEINEM KOLLEGEN EINEN FAUSTSCHLAG INS GESICHT«

Anne-Katrin Haubold war dabei, als ein Grünen-Parteikollege in Dresden zusammengeschlagen wurde. Hier erzählt sie, wie sie den Angriff erlebte und welche Ratschläge sie anderen Wahlkampfhelferinnen gibt.

SPIEGEL: Frau Haubold, Sie mussten am Freitag zusehen, wie Unbekannte Ihren Parteikollegen zusammengeschlagen haben. Wie haben Sie den Abend erlebt?

Haubold: Es war die sogenannte Plakatiernacht, eine Art Wettstreit zwischen den Parteien zum Wahlkampfauftakt, bei dem es darum geht, wer die schönsten Laternenplätze bekommt. Eigentlich ein freudiges Event. Um kurz nach zehn Uhr abends haben mein Kollege und ich am Pohlandplatz im Dresdner Osten gerade ein Europawahlplakat aufgehängt, als vier junge Männer auf uns zukamen. Die waren uns davor schon aufgefallen, weil sie unangenehm laut waren. Ich habe dann zu meinem Parteifreund gesagt: »Komm, lass uns abhauen.« Wir hatten vorher mit den Wahlkampfhelfern darüber gesprochen, wie wir mit solchen Begegnungen umgehen, und entschieden: Man sollte immer mal wieder das Gespräch suchen, aber keine Konfrontation eingehen. Mein Kollege wollte in diesem Fall versuchen, die Situation zu klären. Einer der Männer hat sich direkt vor ihm aufgebaut, zwischen den beiden Nasen waren nur fünf Zentimeter. Er fragte: Was habt ihr gemacht? Mein Parteifreund antwortete: Wir haben ein Plakat für die Grünen aufgehängt. Dann kam aus der Gruppe: »Scheiß Grüne!«. Und der Angreifer verpasste meinem Kollegen einen Faustschlag ins Gesicht.

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SPIEGEL: Was taten Sie?

Haubold: Der Mann schlug noch einmal zu, mein Parteifreund taumelte schon. Ich habe aufgeschrien: »Lasst das sein! Lasst ihn in Ruhe!« Das hat sie aber nicht interessiert. Der Schläger hat noch mal ausgeholt und meinen Kollegen zu Fall gebracht. Als er am Boden lag, haben zwei der Männer auf ihn eingetreten, in den Bauch und die Rippen. Irgendwann konnte ich meinen Kollegen hochzerren. Ich habe auf ihn eingeredet: »Komm, wir müssen jetzt wegrennen.« Das hat er auch verstanden. Die Männer sind sofort in die andere Richtung gerannt.

SPIEGEL: Können Sie die Täter beschreiben?

Haubold: Ich bin mir ziemlich sicher, dass es junge Männer waren, zwischen 17 und 20. Sie waren komplett schwarz gekleidet, mit Baseballcaps, die tief ins Gesicht gezogen waren, und hochgeschlossenen Jacken. Sie waren zwar nicht komplett vermummt. Aber sie wollten offenbar nicht erkennbar sein.

SPIEGEL: Ein Sprecher der Polizei Dresden sprach von einem Hinweis, wonach die Tätergruppierung dem rechten Spektrum zuzuordnen sei.

Haubold: Ich weiß nicht, wer es am Ende war. Die waren gut getarnt. Aber es waren sicher keine, die die Grünen nur jetzt gerade mal ein bisschen doof finden. In ihrer Stimme lag so viel Hass. Wenn man in Dresden wohnt, kennt man das aus dem rechten Spektrum. Natürlich könnten es auch welche von ganz links sein, klar. Aber das ergibt nicht so viel Sinn.

SPIEGEL: Die Männer trugen aber keine äußerlichen Erkennungsmerkmale, etwa Kleidung mit rechtsextremen Codes oder Aufnähern?

Haubold: Das konnte ich im Dunkeln und in der kurzen Zeit nicht erkennen. So schnell, wie es passierte, war es auch wieder vorbei. Aber ich habe noch nie so viel Angst gehabt wie in diesen drei Minuten.

SPIEGEL: Was glauben Sie: Warum haben die Männer Sie verschont?

Haubold: Diese Frage stelle ich mir seit zwei Tagen. Es wirkte wie eine konzertierte Aktion mit Drehbuch im Hintergrund: »Sucht euch einen aus.« Mein Parteifreund ist Brillenträger, vielleicht hing es damit zusammen. Oder mit dem Prinzip, dass man Frauen nicht schlägt.

SPIEGEL: Was ist das für eine Gegend rund um den Pohlandplatz?

Haubold: Eher gutbürgerlich. Wir alle wohnen in dem Viertel, klar, man hängt ja Plakate da auf, wo man die Umgebung kennt. Da stehen Gründerzeitwohnhäuser, es gibt Alleen. Wirklich: ein Hort der Bürgerlichkeit. Und am Rande dessen taucht dann auf einmal so ein Schlägerkommando auf. Mich hat das an die SA-Schlägertrupps der Dreißigerjahre erinnert.

SPIEGEL: Wohin sind Sie geflüchtet?

Haubold: Zu einem Platz in der Nähe, der besser beleuchtet war. Dort haben wir zwei Wahlkampfhelfer getroffen, mit denen wir gemeinsam unterwegs waren. Die hatten mein Schreien gehört und Polizei und Rettungswagen gerufen. Noch bevor die Beamten kamen, haben wir die anderen Grünen-Teams gewarnt.

SPIEGEL: Wie hat die Polizei reagiert?

Haubold: Professionell. Man merkte ihnen zwar an, dass es im ersten Moment eher ein Routineding für sie war. Dann aber wurde der zweite Angriff gemeldet, während wir vernommen wurden. Und die Polizisten wurden besorgter.

SPIEGEL: Sie sprechen vom Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke, der nur wenige Minuten nach Ihrem Parteikollegen mutmaßlich von derselben Gruppe angegriffen wurde und nun im Krankenhaus liegt. In der Nacht zum Sonntag hat laut Polizeiangaben ein 17-Jähriger die Tat gestanden. Stehen Sie in Kontakt mit Herrn Ecke?

Haubold: Mit der Partei, ja. Mit Herrn Ecke persönlich nicht, aber er hat gerade, glaube ich, auch anderes im Kopf. Er muss ja jetzt erst mal gesund werden. SPD und Grüne werden heute Nachmittag gemeinsam bei einer Solidaritätsbekundung am Pohlandplatz auftreten. Ich selbst werde auch da sein. Wir müssen die Zivilgesellschaft aufrütteln. Solche Vorfälle sind ein gesamtgesellschaftliches Problem, nicht nur eines von Wahlhelfern aus dem linken Parteienspektrum.

SPIEGEL: Anders als Sie hat sich Ihr Parteifreund bislang noch nicht zu dem Angriff geäußert. Wie geht es ihm?

Haubold: Er hat Blessuren davongetragen, vor allem Prellungen. Der Angriff ist noch keine 36 Stunden her. Dass er sich da nicht in die Öffentlichkeit stellt, finde ich vollkommen verständlich.

SPIEGEL: Ändern die Angriffe etwas an der Art und Weise, wie Sie Wahlkampf betreiben?

Haubold: Grundsätzlich nicht. Wir werden weiterhin mit Ständen am Wochenmarkt präsent sein und auch Plakate aufhängen. Allerdings nur noch tagsüber und nur noch in größeren Teams.

SPIEGEL: Welchen Ratschlag geben Sie anderen Wahlkampfhelfern?

Haubold: Tut euch zusammen. Macht keine Einzelaktionen, auch, weil es guttut, sich in der Gruppe gegenseitig zu unterstützen. Und das Wichtigste: Werft die Flinte nicht ins Korn. Wir müssen zeigen, dass solch eine Einschüchterungsstrategie keinen Erfolg hat.

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